Interview

mit Uwe Jacob im März 2023, die Fragen stellte Anne Hardy

Wie hast du zum Ikebana gefunden?

Durch eine Mini-Lebenskrise mit etwa 18 Jahren. Ich war auf der Suche nach etwas Kreativem. Mir fiel ein Heftchen über Ikebana in die Hände – und, wie es manchmal im Leben so ist, war es Liebe auf den ersten Blick. Damals war das die Sogetsu-Schule. Drei Jahre später lernte ich die Ikenobo-Schule kennen, und fand es sehr faszinierend, den traditionellen Stil, die Wurzeln des Ikebana, kennenzulernen.

Was hast dich das Ikebana gelehrt?

Sehr viel. Für mich ist Ikebana eine Entdeckungsreise in der Natur. Und letztendlich auch eine Reise zu mir selbst. Das heißt, ich entdecke neue Pflanzen, neue Strukturen oder Aspekte, die ich vorher nicht wahrgenommen habe. Dabei wird nicht nur das Auge geschult, sondern sämtliche Sinne. Vor allem der Sinn für Schönheit. Ich gehe wacher, aufmerksamer durchs Lebe In der letzten Stunde meines Lebens möchte ich gerne eine Blume in den Händen halten.

Ikebana ist ein östlicher Weg, den du hier in einem westlichen Kontext gehst. Wie erlebst du den Dialog zwischen diesen beiden Kulturen?

Das Ikebana hat auch die Faszination für den Zen-Buddhismus in mir geweckt. Seit dem praktiziere ich auch Zen-Meditation, angeleitet durch Franziskaner, die den Dialog zwischen Christentum und Zen wunderbar leben und moderieren. Für mich gibt es zwischen den beiden spirituellen Traditionen keinen Widerspruch. Im Gegenteil: ich bin der festen Überzeugung, dass letztendlich alle spirituellen Wege zu einem Punkt führen.

Wie gehst du vor, wenn du Pflanzen für ein Arrangement auswählst?

Es gibt unterschiedliche Herangehensweisen. Die eine kann aus einer vollkommen offenen Inspiration heraus geschehen. Etwa, wenn ich einen Waldspaziergang mache und mich fasziniert eine Wurzel oder eine Pflanze, die ich von weitem leuchten sehe, oder ein Duft, der mich inspiriert. Dann habe ich die Hauptrolle für mein Arrangement, und der kreative Prozess im Kopf oder auch im Herzen geht seinen Weg. Das heißt, ich frage mich: Wie kann ich diese Pflanze, dieses Blatt, diese Wurzel besonders zur Geltung bringen? So kommen weitere Pflanzen, ein Blatt oder ein Gras hinzu.
Die andere Möglichkeit ist: Ich bereite mich für den Unterricht vor und wähle ein Thema, eine bestimmte Ikebana-Form, für die ich auf den Blumengroßmarkt oder in der Natur die entsprechenden Pflanzen aussuche. Oder es gibt einen konkreten Anlass, einen Geburtstag oder eine Ausstellung.

Und es gibt auch den Dialog zwischen dem Gefäß und dem Arrangement, richtig?

Ikebana ist immer ein Dialog. Zunächst einmal zwischen der Pflanze und dem, der arrangiert. Dann mit der Umgebung, dem Gefäß und dem Anlass. Es ist ein Gesamtkunstwerk.

Ikebana ist eine Zen-Disziplin. In welcher Geisteshaltung ist man beim Arrangieren?

Ikebana gehört zu den klassischen Zen-Künsten. Die Japaner nennen es auch Kado, den Weg der Blume. Es geht nicht bloß um Dekoration, um einen äußeren Prozess, sondern vielmehr um einen inneren Weg. Ein Ikebana zu arrangieren bedeutet, mit voller Hingabe ganz in diesem Moment zu sein, eins mit der Blume. So lernt der Übende das Wesen der Blume kennen und gleichzeitig das eigene Wesen.

Welchen Stellenwert hat bei dir der Dialog zwischen Ikebana und Lyrik?

Der Dialog mit Lyrik bietet sich an, weil sie mit Bildern arbeitet, um Gefühle oder Stimmungen auszudrücken, und das in einer verdichteten Form. Das kann das Ikebana auch. Hier geht es darum, einen Landschaftsausschnitt oder die Stimmung einer Jahreszeit darzustellen. Bezieht sich ein Ikebana auf ein Gedicht, kann es wie ein Echo oder ein Verstärker wirken. Oder sogar einen tieferen Zugang zum Gedicht erschließen.

Hast du einen besonderen Bezug zu Reiner Kunze?

Ja, ich liebe ihn, weil seine Gedichte in mir sofort Bilder entstehen lassen. Ich schätze auch die Reduktion auf wenige Aspekte. Und seinen feinen Humor. Die Liebe zu seiner Frau, die er dichterisch ausdrückt, kann ich wunderbar mit Blumen ausdrücken.

Welche Tugenden zeichnen den Ikebana-Lehrer aus?

Er sollte Freude am Vermitteln haben. Für mich ist es eine große Freude, meine Begeisterung, mein Wissen weiterzugeben, zu teilen. Ikebana kann man zwar alleine machen, aber zu zweit oder in einer Gruppe macht es viel mehr Freude. Es ist ein Gemeinschaftserlebnis.

Gibt es noch was, was dir an Ikebana wichtig ist?

In der Ikenobo-Schule es gibt den Leitsatz „Friendship by Flowers“. Das heißt, wenn man in einer Gruppe Blumen arrangiert, ist es vollkommen gleichgültig, woher man kommt, welche Hautfarbe oder Religion man hat. Es macht einfach glücklich, sich mit Blumen auseinanderzusetzen, zur Ruhe zu kommen, die Schönheit der Pflanzen zu genießen. Und letztendlich die Schönheit in mir selbst oder im Idealfall im Göttlichen zu finden. Das ist ein zutiefst friedlicher und berührender Gedanke.