Interview mit Horst Nising am 2. März 2023, die Fragen stellte Anne Hardy

Wie hast du zum Ikebana gefunden?
Aus Sparsamkeit. Ich habe Ikebana vor circa 60 Jahren in Düsseldorf kennengelernt. Freunde von mir hatten Ikebana-Unterricht bei einer Lehrerin der Sogetsu-Schule genommen und ich entdeckte, dass man mit wenig Pflanzen erstaunlich viel Schönheit schaffen kann.
Was hat das Ikebana dich gelehrt?
Durch das Ikebana habe ich viel über die japanische Art, etwas zu gestalten, gelernt. Die vielleicht wichtigste Erkenntnis ist, dass Symmetrie langweilig ist. Die Natur ist nicht symmetrisch.
Man muss sich auf Form, Farbe und Bewegung einer Pflanze einlassen, um sie zu verstehen und ihre Schönheit in einem Arrangement aufleuchten zu lassen. Auch bei der Wahl des Gefäßes spielt die Pflanze eine wichtige Rolle. Ich spreche mit ihr: „Ich gebe dir jetzt ein Gefäß, das deine Schönheit besonders zum Ausdruck bringt.“
Ikebana ist ein östlicher Weg, den du hier in Europa in einem westlichen Kontext gehst. Wie erlebst du diesen Dialog zweier Kulturen?
In meinem Studium der Kunstgeschichte habe ich wichtige Erfahrungen mit europäischen Künstlern, Musikern und Architekten gemacht, deren Schaffen oft eng mit dem Christentum verbunden ist. Der Mensch steht im Mittelpunkt. Mit dem Studium des Ikebana kam ich mit dem Buddhismus in Berührung. Und hier wird es für mich spannend: Die Japaner sehen Pflanzen als Vorbilder für menschliches Verhalten. Eine Pflanze wird ihren vorgegebenen Weg gehen. Sie wird wachsen, erblühen, Früchte tragen und schließlich sterben. Ikebana arrangieren heißt, seine Ideen im Dialog mit der lebendigen Pflanze umzusetzen.
Du hast auf deinen Reisen nach Japan auch mehrfach Gelegenheit zum Austausch mit den dortigen Meistern gehabt. Was waren für dich die prägendsten Erfahrungen?
In der europäischen Kunst hat die Darstellung von Pflanzen und Blumen oft eine symbolische Bedeutung. Japaner kennen diese symbolischen Zuordnungen nicht. Die Ikebana-Meister lassen sich vielmehr von der Form der Pflanzen leiten und entwickeln daraus bestimmte Formen von Arrangements, mit denen sie die Welt darzustellen versuchen. In der ältesten Form, im Rikka, sind die Linien oder Elemente genau zugeordnet: Da ist der Himmel, ein Wasserfall, da sind Dörfer. Man muss lange üben, bis man das kann. Im Grunde ist jedes Arrangement ein Abbild der Welt.
Die für mich wichtigste Lehre war und ist: Dass der Mensch die Natur als Vorbild für sein eigenes Leben wählt.
Du hast schon auch in deinen früheren Werken den Dialog mit anderen Künsten gesucht, und insbesondere der Lyrik. Ist das Deine besondere Weise, Ikebana zu leben?
Als Kunsthistoriker denke an den Bau einer Kathedrale, an dem auch verschiedene Künste beteiligt sind. Die Schönheit einer Kathedrale des Mittelalters, der Gotik oder auch der Neuzeit beruht darauf, dass alle Bilder, Fenster, Skulpturen und Reliefs auf ein gemeinsames Ziel hin geschaffen sind, nämlich das Lob Gottes auszudrücken.
Im Ikebana habe von Anfang an den Dialog mit anderen Künsten gesucht, die mich anregten, ähnliche Gefühle oder Stimmungen in einem Arrangement auszudrücken. Besonders hingezogen fühle ich mich bis heute zur Lyrik. Sie beschreibt wunderbar Beziehungen und besondere Momente zwischen Menschen.
Welche Gedichte bevorzugst Du?
Ich wähle gern Gedichte, die Momente beschreiben, denn alles um uns herum verändert sich ununterbrochen. Wenn ich Blumen wegwerfe, weil sie verblüht sind, bin ich jedes Mal traurig, und ich sage den Blumen das auch. Das kann man albern finden, aber es tut mir tatsächlich leid, dass die Blumen welken. Das nehme ich wahr und bringe es sogar ins Wort. Ob die Blume das versteht? Man spricht bei Menschen vom grünen Daumen. Sie können wunderbar mit Pflanzen umgehen, weil sie mit den Pflanzen fühlen, was sie brauchen.
Wie hast du Reiner Kunze kennengelernt?
Durch seine Gedichte. Ich habe ihn kontaktiert und gesagt, dass ich ein Buch mit ihm machen möchte. Ich glaube, er hat sich damals nicht vorstellen können, was ich vorhatte. Wir waren später sogar zusammen in Japan und seit dieser wunderbaren Reise war ich mit Reiner Kunze und seine Frau befreundet.
Ist es die Fähigkeit, Schönheit zu schaffen, die Du Deinen Schülerinnen und Schülern vermitteln möchtest?
Ja, im Grunde schon. Schönheit zu schaffen, bedarf eines bewussten Entschlusses.
In einem Ikebana bedeutet es, einen spannenden Dialog der Pflanzen untereinander und auch im Zusammenspiel mit dem Gefäß zu schaffen. Im Alltag entdecke ich auch immer wieder verborgene Schönheit. Zum Beispiel habe ich hier auf der Fensterbank einen Zweig aufbewahrt, der in seiner Hauptlinie brutal abgeschnitten ist. Es ist Verschnitt. Aber ich habe ihn bewusst in diese Vase gestellt und jetzt treibt er kleine Blüten und Blätter. Sieh wie schön das Rötliche der Blüten mit der Glasur der Vase spielt!
Was versuchst Du als Ikebana-Lehrer zu vermitteln?
Ich versuche, meine Schüler das Sehen zu lehren und geduldig in den Dialog mit den Pflanzen zu treten. Und ich lasse sie auch zu Gedichten arrangieren. Das Gedicht ist ein weiterer Gesprächspartner neben den Pflanzen und dem Gefäß. Es ist die Stimme eines Menschen, auf die ich antworten kann.